Das Fest war voll gelungen, die Initiative »Koroška/Kärnten gemeinsam erinnern/skupno ohranimo spomin« und die Vielen, die teilgenommen hatten, werden den Schwung für kommendes Jahr mitnehmen: Unter dem Motto »Svobodni! Befreit! Ein Fest dem Widerstand/Praznujmo upor« füllte sich am vergangenen Freitag der Klagenfurter Domplatz mit AkteurInnen, AusstellerInnen und BesucherInnen.
[Fotos: Franc Wakounig]
Den Auftakt machte eine ökumenische Andacht in der Domkirche. Diözesanbischof Dr. Josef Marketz erinnerte an jene, die Widerstand geleistet haben: Die Erinnerung an das Unrecht der Vergangenheit und das menschenverachtende Erbe der NS-Zeit sei für die Gestaltung der Gegenwart von enormer Bedeutung. Als katholische Kirche wolle man sich mit allen Menschen guten Willens gemeinsam gegen das Vergessen aussprechen, damit sich die Verbrechen der Vergangenheit nicht wiederholen: »Wir denken an jene, die gegen die Gewaltherrschaft Widerstand geleistet haben – darunter waren auch katholische Priester und Laien aus Kärnten – und sich für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden eingesetzt haben und an jene, die es heute tun.«
Superintendent Manfred Sauer rief auf, rechtzeitig aufzustehen und Widerstand zu leisten: »In der Nachfolge Jesu« brauche es immer wieder Mut und Zivilcourage, gegen autoritäre, fundamentalistische und faschistische Tendenzen in der Gesellschaft rechtzeitig aufzustehen und Widerstand zu leisten. »In der Zeit des Nationalsozialismus«, so Sauer, »hat auch die Evangelische Kirche großteils versagt, geschwiegen und weggeschaut. Die verheerenden Folgen dieses Versagens, Zauderns und Mitläufertums sind bekannt. Deshalb müssen wir uns immer wieder an dieses dunkle und katastrophale Kapitel in unserer Geschichte erinnern, um daraus zu lernen, um die Zeichen der Zeit rechtzeitig zu erkennen …«
Die Kundgebung war ursprünglich für den Jahrestag der Befreiung vom Naziregime im Mai geplant, wurde aber covidbedingt verschoben. Elisabeth Klatzer, Mitinitiatorin der Initiative: »Wir feiern all die widerständigen Menschen in Koroška/Kärnten, die Menschen, die unter Einsatz ihres Lebens das Ende des Krieges ermöglicht und Kärnten/Koroška die Freiheit wiedergegeben haben. Und: »Die Zeit ist reif, die ganze Geschichte zu erzählen – die Geschichte von Koroška/Kärnten.« Nadja Danglmaier, ebenfalls Mitinitiatorin der Initiative und gemeinsam mit Eva Hartmann, die den slowenischen Part machte, Moderatorin der Veranstaltung, betonte die Zukunftspläne: Das Fest sei der Startpunkt dafür, den Domplatz zu einem Ort zu machen, an dem historischer Widerstand und gegenwärtiges zivilgesellschaftliches Handeln für Menschenrechte, Demokratie und soziale Gerechtigkeit sich verbinden.
Die Historikerin Brigitte Entner erinnerte in ihrer Rede an die Vergangenheit des Domplatzes, in der viel der Geschichte von Kärnten/Koroška enthalten sei; diese sei aber nicht präsent. Mit bewusstem Erinnern bzw. Vergessen, so Entner, wurde und werde Geschichte gemacht. Dies diene der Absicherung gewünschter Machtverhältnisse, um am Domplatz befinde sich eine Verdichtung des Kärntner Mythos in Stein.
Die Schriftstellerin und Kulturwissenschaftlerin Elena Messner nahm sich die hegemoniale rechtsdrehende Kärntner Erinnerungskultur bzw. -politik vor und erinnerte daran, was nötig sei, damit Klagenfurt/Celovec samt dem Domplatz weltoffen und innovativ wird (ihre ungekürzte Rede am Schluss dieses Beitrags).
Die Journalistin Tanja Malle in ihrer Rede: »Es ist ein Wunder, dass es mich gibt.« Kärnten kenne viele Traditionen. Darunter die über die Jahrzehnte hinweg mit Eifer betriebene Auslöschung von Koroška, des slowenischen Kärnten. Und: »Dazu zählt auch der Umstand, dass bald nach der Befreiung 1945 ein soeben geschaffenes, innovatives zweisprachiges Bildungssystem im Keim erstickt wurde. Das Niederreißen zweisprachiger Ortstafeln in den 1970er Jahren. Wie auch, dass man sich in den Nuller Jahren dieses Jahrtausends stur über ein verfassungsgerichtliches Erkenntnis hinwegsetzte und das – politisch erfolgreich – als Konsens rahmte. In kljub temu smo tu. Und trotzdem sind wir hier. Praznujmo upor.« Denn: »Auch Widerrede ist Widerstand. Das könnte zur einer neuen Tradition werden.«
Abschließend spannte Simon Urban, Vorsitzender des Klubs slowenischer Studentinnen und Studenten in Wien, den Bogen von der Initiative »Koroška/Kärnten gemeinsam erinnern/skupno ohranimo spomin« zum kritischen Blick der jüngeren Generation, der eine reflektierte und differenzierte Betrachtung der Vergangenheit zugetraut werden könne.
Richi Klammer, Michael Erian, Emil Krištof und Primus Sitter kommentierten die Veranstaltung musikalisch-kongenial und in gewohnter Qualität, und das Theater Trotamora aus St. Jakob/Šentjakob unter der Leitung von Marjan Štikar intervenierte zwischendurch beeindruckend performativ.
Elena Messner:
Pozdravljeni, pozdravljene, seid gegrüßt!
Wir feiern heute die Freiheit, die nur durch Widerstand möglich war. Wir feiern aber auch den gemeinsamen Auftrag, den Domplatz von Geschichtsverdrehung zu befreien.
Ein Historiker meinte über den Wiener Lueger-Denkmal, es sei ein „Stachel im Fleisch“, den man keineswegs entfernen sollte, weil er für Kontroversen über Geschichtsdarstellung produktiv sei. Diese Aussage ist ein Bekenntnis zu einem fortwährenden sich Aufregen-Lassen-Wollen durch ewiggestrige Fragen. Ein masochistischer Wunsch, der schwer zu teilen ist, weil er von der Produktivität des Unverarbeiteten im historischen Herrschafts- und Gewaltgedächtnis eines Kollektivs ausgeht.
Das Lueger-Denkmal ist eines jener österreichischen Denkmäler, die seit Jahrzehnten immer wieder politische und wissenschaftliche Diskussionen auslösen. Ein Trigger. Solche Denkmäler bauen auf Nivellierung und Verwischung historischer Tatsachen, auf Verharmlosung oder Verherrlichung von Täterschaft und vermitteln eine selektive Perspektive auf Geschichtsereignisse. Kurz gesagt: jede Menge Unschärfen, wo historische Klarheit und Korrektheit nötig wäre.
Auch das platte Denkmal am Klagenfurter Domplatz, auf kleinem Sockel und mit dumpfer Parole, tut, was es tun soll: Es triggert Traumata angesichts des hier in Stein gemeißelten Opferkultes, der seine offensichtliche Täter-Opfer-Umkehr nicht einmal zu verheimlichen versucht. Es triggert Kopfschütteln angesichts des präsentierten Bedrohungsszenarios, das sämtliche deutschnationalen und nazistischen Mystifikationen in einem einzigen Satz bündelt. Es triggert Schulterzucken angesichts dieser platten Manifestation antidemokratischer Effekte.
Aber dieser Stein triggert auch Diskussionen und Aktionen, er ist auf Widerstand gestoßen und so hat die Auseinandersetzung um ihn schon ihre eigene langjährige Geschichte. Denn für alle, die einen demokratischen Diskurs wünschen, sind solche Monumente des Ewiggestrigen tatsächlich eine Weide – keine Augen-Weide zwar, dafür eine Denk-Weide. Eine Bekletterungsinspiration wie im Jahr 2000. Eine Handlungsaufforderung wie bei den antifaschistischen Spaziergängen seit 2006. Eine Verhüllungseinladung wie im Jahr 2020.
Die Bedenkenlosigkeit problematischer Denkmäler ist längst vorbei. Das Lueger-Denkmal wurde letztes Jahr mit dem Begriff „Schande“, „sramota“ dekoriert, diese Inschrift dann von Künstlerinnen vergoldet und davor eine Schandwache abgehalten – bis die Stadt Wien entschied, nun über ernsthafte Lösungen nachzudenken.
Was hat aber die Stadt Klagenfurt, Celovec in eigener Sache vor? Die Zeit für eine Umstrukturierung des Domplatzes ist angebrochen. Das Magistratsgebäude wird umgestaltet werden, der Kirchturm ist bereits renoviert. Das Areal soll aufgewertet werden, lautet das entsprechende Argument.
Die Stadtverwaltung und die Kirche werden sich entscheiden müssen: Will man deutschnationale und nazistische Kontinuitäten im Stadtbild ignorieren? Will man die Anbiederung an den rechten Rand fortführen? Wenn ja, empfehle ich in der Umgebung des jetzigen Steines eine Gedenktafel an Dr. Sigbert Ramsauer anzubringen, der als KZ-Arzt auch am Loibl tätig gewesen war und später direkt gegenüber vom Stein, im Haus mit Hotel, jahrelang ordiniert und als ehrenwerter Bürger der Stadt die Aussicht auf den Platz genoss. Oder ich empfehle eine Beton-Tafel für jene Kärntner Nazis, die als Mitglieder des NS-Gewaltapparates im Divisionsgericht der Jesuitenkaserne hier auf diesem Platz im Zweiten Weltkrieg Deserteure und Widerstandskämpfer verurteilt und oft in den Tod weitergeschickt haben. Ich empfehle auch, die weiße Statue von Ernst und Trude Lerch zu vergolden, die unweit von hier im Ossiacherhof in romantischer Pose verewigt sind und dann auch keineswegs an der Statue einen Hinweis darauf anzubringen, dass der in Tanzpose verewigte, Ernst Lerch jener begeisterte Nazi, SS-Hauptsturmführer, Rasse- und Siedlungsführer, und für Millionen toter Juden und Jüdinnen mitverantwortlicher Täter war, dem Werner Kofler seinen Text „Tanzcafe Treblinka“ widmete. Als Blaupause für die Umdeutung von Nazis in ehrenwerte „heimat-treue Kärntner Männer“ bietet sich auch die jüngst aufgestellte Erinnerungsplatte für Hans Steinacher sehr gut an. Nur zur Warnung: Solche Monumente werden weiterhin das Bedürfnis auslösen, die durch sie verkörperte Geschichts-Manipulation mit der historischen Wahrheit zu konfrontieren, sie werden das Bedürfnis auslösen, auf einen Nazi-Gedenkstein den Schriftzug Nazi zu sprühen, um es korrekt zu kontextualisieren, wie das mit dem neu aufgestellten Hans-Steinacher-Denktaferl im Oktober vergangenen Jahres geschehen ist.
Oder will Klagenfurt, Celovec seinen öffentlichen Raum von dieser Entwertung durch Geschichtsverdrehung befreien? Will die Landeshauptstadt als weltoffene Stadt einen zeitgemäßen, historisch korrekten, politisch klaren Umgang mit dem nazistischen, antisemitischen, antislowenischen und deutschnationalen Erbe?
Sollte dies das Ziel der Stadt und auch der Kirche sein, müssen am Platz Zugänge zu Geschichte geschaffen werden, die nicht vor lauter Falschheit in Stein gemeißelt werden. Stattdessen kann dieser zu einem künstlerischen Raum des Widerstandes formiert werden. Zu einem Ort der Literatur. Ja, vergessen wir nicht die Bedeutung von Literatur, die für die Folgegenerationen ein wertvoller Aufbewahrungsort von zerstörten Geschichten ist. Erinnern wir in Zukunft hier am Domplatz an Anton Haderlaps Buch „Graparji“, an Tone Jelens „Auf den Spuren der Hoffnung“, an Andrej Kokots „Das Kind, das ich war“. Erinnern wir uns an Lipej Koleniks „Für das Leben, gegen den Tod. Mein Weg in den Widerstand“, an Janko Messners „Rückkehr/Vrnitev“, an Karel Prušnik-Gašpers „Gemsen auf der Lawine. Der Kärntner Partisanenkampf“. Erinnern wir hier am Domplatz an die weibliche Seite des Widerstands! An Marija Prušniks Tagebuch aus dem Lager Frauenaurach, in dem auch meine babi, meine Großmutter inhaftiert und zur Zwangsarbeit eingeteilt war, an Maja Haderlaps „Engel des Vergessens“, an Milena Gröblachers „Šolo, ne šivanko!“, erinnern wir uns hier am Domplatz an Helena Kuchars „Jelka. Aus dem Leben einer Kärntner Partisanin“.
Bauen wir den Domplatz zu einem Ort um, der die Geschichte der Stadt und des Landes in ihrer Widersprüchlichkeit und Widerständigkeit erzählt. Zeigen wir am zukünftigen Domplatz, dass auch in unserem Land die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nicht mehr von einer geschichtsrelativierenden Opfer-Täter-Umkehr begleitet wird, und dass sie sich nicht auf antislowenische Ressentiments stützt. Klagenfurt, Celovec, du sollst Platz machen für Wissenschaft statt Verdrehung, für Kunst statt Dummheit, und für Literatur statt Manipulation.
Denn eines ist klar: Es kann keine Aufwertung dieses Platzes geben, solange jene Gedenkmuster ihn dominieren, die auf die Entwertung von Widerstand setzen, auf die Entwertung von Demokratie, auf die Entwertung von Menschen.